Ein besendertes Hirschtier | © Josef Zandl
Der Gletscher.
SMS vom Hirsch

Integrales Rotwildmanagement

Das Kitzsteinhorn umgibt 10.000 ha zusammenhängende Jagdfläche. Das entspricht etwas mehr als 14.000 Fußballfelder. Der höchste Punkt in diesem Jagdgebiet liegt mit dem Wiesbachhorn auf 3.600 m Seehöhe. Der Windwurf durch Föhnsturm „Uschi“ im November 2002 brachte auch für das heimische Wild große Veränderungen. So startete während des Wiederaufforstungsprojektes eine einmalige Zusammenarbeit von Tourismus, Jagd-, Forst- und Landwirtschaft zu einem möglichst schadensfreien Nebeneinander von Rotwild und Kulturlandschaft in den entstandenen Waldflächen des Kaprunertals.

2015 – Halbzeit beim 20 Jahre dauernden Wiederaufforstungsprojekt nach dem Föhnsturm „Uschi“. Die Sanierung des Waldes zeigt bereits große Erfolge und die Schutzwälder an den Steilhängen im Kaprunertal sind wieder stabil.

Doch mit der Dichte des neuen Baumbestands wurde auch die Beobachtbarkeit und damit die notwendige Bejagungsmöglichkeit der Wildbestände schwieriger. Nachdem insbesondere das Rotwild durch Verbiss, Fege- und Schälschäden den jungen Bäumchen schaden kann, wurde – parallel zur Sanierung der Waldflächen – 2015 ein wissenschaftlich begleitetes Projekt gestartet, um Aufschlüsse über das Verhalten des Rotwilds im Kaprunertal zu bekommen. Auf Initiative der Gletscherbahnen Kaprun AG wurde gemeinsam mit Wissenschaftlern und den Interessensvertretern aus Tourismus, Jagd-, Forst- und Landwirtschaft bei diesem Projekt das Rotwild besendert, beobachtet, analysiert und ein Managementsystem etabliert, das auf den heranwachsenden Wald abgestimmt ist. Das erklärte Ziel: Die Rotwildbestände zu lenken, um einen artenreichen Baumwuchs für die Schutzfunktion des Waldes zu gewährleisten. Wir werfen mit Wissenschaftler Paul Griesberger einen Blick auf diesen Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Praxis.

Rothirsch | © Paul Griesberger ©Paul Griesberger
Das Rotwild ist ein Verbergungskünstler und geht den Menschen nach Möglichkeit aus dem Weg. © Paul Griesberger

Ein Blick hinter die Kulissen des Rotwilds

Paul Griesberger, Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien begleitete dieses mehrjährige Projekt von wissenschaftlicher Seite. Er erklärt: „Am Anfang stand ein Blick hinter die Kulissen des Rotwilds, das eigentlich ein Verbergungskünstler ist. Dazu wurden an den Winterfütterungen 20 Stück Rotwild besendert. In großen Holzkastenfallen wurden einzelne Tiere gefangen und von Jägern und Tierärzten mit GPS-Halsbändern, Magensonden und Ohrmarken versehen. Dank dieser Besenderung konnte nicht nur der genaue Standort der je zehn weiblichen und männlichen Exemplare, sondern auch deren Herzrate, Körpertemperatur und andere Körperfunktionswerte ermittelt werden. Alle drei Stunden wurden Daten gesammelt und einmal am Tag an das Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft übertragen. Das ,SMS vom Hirsch‘ lieferte uns bei der Auswertung spannende Einblicke und so manchen Aha-Moment.“ 

Ich denke, dass uns mit diesem Projekt ein wichtiger Schritt gelungen ist, um Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Rotwild in eine von uns Menschen geprägte Kulturlandschaft möglichst wildschadensfrei integriert werden kann.

Wissenschaftler Paul Griesberger

Stubenhocker und Weitwanderer

Paul Griesberger, der auch für die Auswertung der übermittelten Daten zuständig war, zeigt sich überrascht: „Die Besenderungen haben gezeigt, dass kein Hirsch dem anderen gleicht. Man hat es mit unterschiedlichen Charakteren zu tun, wie bei uns Menschen. Obwohl es selbstverständlich auch gewisse Gemeinsamkeiten innerhalb eines Rotwildbestands gibt, haben mich diese unterschiedlichen Verhaltensmuster doch sehr fasziniert. Hinsichtlich der Raumnutzung konnten wir große Unterschiede feststellen. Da waren zum einen die Stubenhocker, die ganzjährig standorttreu in ihrem ,Wohnzimmer, – dem Einstand  bleiben und diesen nur zur Brunft verließen. Dann gab es die Wanderer, die vom Sommer- in den Wintereinstand wechselten. Und dann waren da die Weitwanderer, die im Winter zwar in einem kleinen Einstand an der Fütterung blieben, im Frühjahr aber weite Distanzen in benachbarte Täler zurücklegten und erst im Herbst wieder zur Fütterung zurückkehrten. Der Rekordhalter unter den Weitwanderern legte in rund 48 Stunden etwa 17 Kilometer zurück, um in seinen Sommereinstand im Fuschertal zu kommen. Den Winter verbrachte er wieder an der Fütterung in Kaprun, doch exakt am selben Tag wie im Vorjahr brach er auf der selben Route rund ums Imbachhorn wieder auf ins Fuschertal.“

Auf den Puls gefühlt

Josef Zandl, Verwalter am Gut Fischhorn, war Teil des Forschungsteams „Integrales Rotwildmanagement“. Auch der erfahrende Land-, Forst- und Jagdwirt war überrascht von so manchen ausgewerteten Daten. Er meint: „Die Herzfrequenz des Rotwilds sank von 90 Schlägen pro Minute im Sommer auf etwa 30 im Winter. Das zeigt, Hirsche gehen in der kalten Jahreszeit auf Standby-Modus um mit ihren Körperfunktionen auf Sparflamme Energie zu sparen. Das ist eine sensible Zeit für Beunruhigungen, da der Energieverlust eines durch menschliche Störung aufgeschreckten Hirsches durch den erhöhten Herzschlag enorm wäre – das Ruhebedürfnis dieser Wildtiere muss nun besonders respektiert werden.“  

Hirsche gehen den Menschen nach Möglichkeit aus dem Weg. Doch manchmal ist eine attraktive Nahrungsquelle so verlockend, dass die Nähe zum Menschen in Kauf genommen wird. Josef Zandl berichtet: „Ich erinnere mich an die Daten eines Hirsches, der sich im November über mehrere Wochen ganztägig direkt hinter dem Parkplatz der Panoramabahn befand, um sich dort an den heruntergefallenen Blättern von Eschen und Bergahorn sattzuessen. Diese Nahrungsaufnahme fand nicht ganz in Seelenruhe statt, denn sein Herzschlag war durch die Nähe der Menschen deutlich erhöht – aber trotz hoher Fluchtbereitschaft verblieb der Hirsch dort in einer Distanz von 100 bis 150 Metern zum Parkplatz und den Wintersportlern.“

Das Kaprunertal - links die sehr ruhigen Steilflächen, rechts der Wintersport.  | © Paul Griesberger ©Paul Griesberger
Das Kaprunertal - die steile, östliche Talseite ist eine touristisch beruhigte Zone. © Paul Griesberger

Freizeitnutzung & Wild – eine mögliche Kombination

Viele weitere Daten und Einblicke ermöglichten es dem Projektteam, Rückschlüsse auf die Lenkung und Raumplanung für das Rotwild zu ziehen. Auch die Freizeitnutzung und die Auswirkung auf das Rotwild wurde beleuchtet. Paul Griesberger berichtet: „Konkret kann aufgezeigt werden, dass Freizeitnutzung und Rotwild im selben Revier möglich sind, solange sich alle Beteiligten an gewisse Spielregeln halten. In Abstimmung mit der Gemeinde Kaprun und der Gletscherbahnen Kaprun AG existiert im Kaprunertal ein großflächiges raumplanerisches Konzept, in dessen Rahmen die westliche Talseite vorwiegend einer touristischen Nutzung unterliegt, während die östliche Talseite als touristisch beruhigte Zone betrachtet wird. Dieses Konzept ist beispielgebend und wird durch den anwachsenden Tourismus in Zukunft immer wichtiger werden.“

 

Das Projekt „Integrales Rotwildmanagement“ bestätigt die Sinnhaftigkeit der Raumplanung im Kaprunertal mit sachlichen und überzeugenden Informationen. So kann man erholungssuchenden Menschen eine grandiose Bergwelt, bei gleichzeitiger Berücksichtigung der dort heimischen Wildtiere, zugänglich und erlebbar zu machen. Paul Griesberger blickt zurück: „Das Projekt zählt definitiv zu den spannendsten an denen ich in meiner Karriere als Wissenschaftler bis jetzt beteiligt war. Ich denke, dass uns mit diesem Projekt ein wichtiger Schritt gelungen ist, um Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Rotwild in eine von uns Menschen geprägte Kulturlandschaft möglichst wildschadensfrei integriert werden kann. In Kombination dazu konnten wir Herangehensweisen präsentieren um den Wiederaufbau sowie Erhalt stabiler Waldbestände zu gewährleisten.“

Wer mehr über dieses einzigartige Projekt erfahren möchte, kann sich hier die vollständige Broschüre „Integrales Rotwildmanagement“ downloaden.