Harmonisches Miteinander im Ess- und Wohnzimmer der Wildtiere
Der Mensch erholt sich in der Natur. Wildtiere ebenso. Damit sich Mensch und Tier am Kitzsteinhorn nicht ins Gehege kommen sorgt die Aktion „Respektiere deine Grenzen“ für Aufmerksamkeit und Achtung für sensible Lebensräume und die darin lebenden Wildtiere.
Des Freizeitsportlers Playground und des Naturliebhabers Erholungsraum ist Wohnraum von Gams, Reh und Hirsch. Gibt einer auf den anderen Acht, funktioniert die gemeinsame Nutzung harmonisch und ohne Beunruhigung für die scheuen Wildtiere. Manchmal gerät man beim Ausüben seines liebsten Hobbys allerdings mitten ins Frühstückszimmer der Gämsen, die Kinderstube der Rehe oder den Ruheraum der Hirsche. Zumeist ist uns das beim Ausüben unseres Lieblingssports garnicht bewusst, zu sehr sprudeln gerade die Glückshormone. Christoph Burgstaller, Berufsjäger, Jagdausbildner und Obmann der Salzburger Initiative „Respektiere deine Grenzen“ weiß: „Wüssten die Naturnutzer die Tragweite ihrer Handlungen, würden sich die meisten ohnehin anders verhalten. Respektiere deine Grenzen erklärt daher ganz ohne drohenden Zeigefinger die Zusammenhänge und weist auf sensible Bereiche hin.“
Essenszeit für Murmeltiere
Unten glitzert der See, oben der Schnee. Eine wundervolle Kulisse für hochalpine Wanderungen, Gipfelausflüge, rasante Bikeabfahrten und naturnahe Spaziergänge. Für manche Wildtiere ist der Sommer in dieser hochalpinen Lage allerdings kurz, wie Christoph Burgstaller erklärt: „Die Murmeltiere etwa kommen Mitte Mai nach einem langen Winterschlaf aus ihrem Bau. Dann gilt es rasch sich zu paaren und die aufgezehrten Fettreserven wieder an den fetten Gräsern aufzufüllen. Die bis zu sieben Murmeltierkinder – in der Jägersprache auch „Affen“ genannt – kommen nach nur einem Monat zur Welt und verlassen gemeinsam mit der Mutter – der „Katze“ – nach einem weiteren Monat erst den Bau. Der Nachwuchs muss bei den Murmeltieren einen wahren Raketenstart hinlegen, denn bis zum finalen Zurückziehen in den Bau im Oktober müssen sie das 50-fache ihres Geburtsgewichts aufweisen. Nur so überleben sie den nächsten Winter. Immer auf der Hut vor ihrem Hauptfeind, dem Steinadler, steht der „Bär“ (so nennt man das männliche Murmeltier) aufrecht Wache und lässt einen schrillen Warnpfiff hören. Auf diesen Pfiff hin sucht die ganze Manggei-Familie den Bau auf, bis die Luft wieder rein ist. Diese Unterbrechung der Nahrungsaufnahme erfolgt auch, wenn allzu neugierige, zweibeinige Murmeltier-Freunde auf der Jagd nach einem Foto zu nah an die Tiere herankommen. Hält man respektvoll Abstand, gewöhnen sich die Murmeltiere an die Wanderer und lassen sich die Alpenblumen weiterhin schmecken.“
Wissen schafft Verständnis und erkennt man die Zusammenhänge, dann fällt ein Beachten der Grenzen meist ganz leicht.
Unwillkommene Überraschungsbesuche
Aus Erfahrung weiß man, dass sich Wildtiere gut anpassen können und Gewohnheit Ruhe ins Revier bringt. An Wanderer, die sich auf den ausgewiesenen Wegen bewegen oder die Freerider, die über die beschilderten Trails zu Tal sausen haben sich die Tiere längst gewöhnt. Doch Überraschungsbesuche mögen Gams & Co gar nicht, wie der Wildtier-Experte weiß: „Trailrunner, die sich gern abseits markierter Wege schnell und lautlos nähern oder über Grate laufen, sind sich nicht bewusst, wie sehr sie die dort äsenden Gämsen erschrecken. In ihrer schnellen Flucht verlassen sie großräumig ihren Lebensraum. Das gilt auch für Freerider, die abseits der gesicherten und ausgewiesenen Routen perfekte Lines im Tiefschnee suchen. Die ausgewiesenen Freeride-Routen selbst sind so gewählt, dass sie keinen Lebensraum von Wildtieren in die Quere kommen.“
Speziell im Sommer sind viele Biker schon früh in den Pedalen, um die lange Strecke von Kaprun hoch aufs Kitzsteinhorn noch vor der Mittagshitze zu bewältigen. Doch wer allzufrüh bei Tagesanbruch durch den Wald fährt, stört das Wild beim Frühstück, wie Christoph Burgstaller erklärt: „Die ruhigen Tagesrandzeiten nutzt das Wild verstärkt, um aus der Deckung zu kommen und sich der Nahrungsaufnahme zu widmen."
Bedrohung aus der Luft
Ebenso unwillkommene Eindringlinge in den Ruheraum der Wildtiere sind – Sommer wie Winter – die mittlerweile auch bei Hobbyfotografen und Filmern beliebten Drohnen. Christoph Burgstaller ist selbst Naturfotograf, und weiß, wie erhebend der Anblick eines Hirschs oder einer kapitalen Gams durchs Objektiv sein kann. Er weist aber auf die Risiken hin: „Wildtiere reagieren auf Störungen aus der Luft bereits bei einem Abstand von 600 Metern mit Stress und unterbrochener Nahrungsaufnahme. Steuert man die Drohne auf der Jagd nach noch besseren Nahaufnahmen weiter zum Rudel, weicht es fluchtartig aus.“ Wenn man bedenkt, was also so eine kleine, summende Drohne für eine Auswirkung auf die Wildtiere hat, kann man sich vorstellen, was ein großer, bunter Paragleit-Schirm bewirkt. „Besonders bedenklich ist das Speedgliding, bei dem die Paragleit-Piloten extreme Konturflüge über das Gelände machen und zwischendurch mit den Skiern aufsetzen.
Wildtierfreundliche Aussicht
Dagegen unbedenklich aus der Sicht der Wildtiere, weil wiederum längst gewohnt, ist die Nutzung der 3K K-onnection. Von den verglasten Gondeln aus kann man in Ruhe Gämsen in ihrem ,Schlafzimmer‘ beobachten, da sie sich direkt unter der Bahn gebettet haben. Ein Zeichen, dass diese sanfte Lebensraumnutzung keine störende Auswirkung auf die Wildtiere hat.“ Und warum eine Störung der Wildtiere insbesondere in den Wintermonaten verheerend sein kann, erklärt Christoph Burgstaller so: „Zum einen sind viele Wildtiere im Winter sozusagen auf Standby-Modus. Sie haben ihre Systeme heruntergefahren, um möglichst viel Energie zu sparen und mit ihren Reserven gut durch die Kälte zu kommen. Eine plötzliche Flucht lässt das System augenblicklich wieder hochfahren und es werden im tiefen Schnee Höchstleistungen gefordert – das kostet Kraft, die eigentlich fürs Überleben wichtig wäre. Zum anderen werden dadurch etwa Hirsche aus ihrem angestammten Winterrevier vertrieben und landen auf der Flucht eventuell in sensiblen Waldzonen, wie den Schutzwäldern. Wird hier der Hunger an den Baumrinden gestillt, nimmt der Wald Schaden und die Schutzfunktion für darunter liegende Siedlungen oder Straßen ist geschwächt.“
Hunde an die Leine
Und wie überall im Alpenraum gilt auch am Kitzsteinhorn: Bitte die Hunde an der Leine halten, deren Hinterlassenschaften aufsammeln und in den Mülleimern an den Stationen entsorgen. „Freilaufende Hunde sind speziell zur sensiblen Setzzeit eine Bedrohung für die Wildtiere. Und nicht nur der Hundekot – jeglicher Müll gehört zurück ins Tal“, weiß der langjährige Berufsjäger. „Und vielleicht ist ja das Interesse an den Wildtieren und deren Lebensraum geweckt, dann kann man zum Beispiel im Nationalparkzentrum in Mittersill oder bei einer geführten Wanderung mit den Nationalparkrangern am Kitzsteinhorn noch mehr darüber erfahren. Wissen schafft Verständnis und erkennt man die Zusammenhänge, dann fällt ein Beachten der Grenzen meist ganz leicht.“
Headerbild © Land Salzburg / Melanie Hutter